Fast jeder kennt die Petrikirche mit ihrem markanten Turm als Dominante der Rigaer Altstadt. Für die einen ist sie als Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ein spektakulärer Aussichtspunkt, für die anderen ein in Backstein errichtetes Zeugnis, das die Zugehörigkeit zum westeuropäischen Kulturraum belegt, und für die dritten eine einzigartige Stätte der Reformation mit identitätsstiftender Bedeutung auch für das unabhängige Lettland.
Natürlich sind die Jahrhunderte nicht spurlos am Kirchengebäude vorübergegangen. Eingestürzte Türme, durch Blitzschlag ausgelöste Brände sowie mehrere kriegerische Handlungen musste das Gebäude über sich ergehen lassen. Am Peter- und Paulstag 1941 brannte die Kirche beim Abzug der Roten Armee völlig aus, der Turm stürzte brennend ein, alle Dächer sowie das Innere der Kirche wurden ein Opfer der Flammen, das Gewölbe des Mittelschiffs wurde zerstört. Jahrelang war die Kirche den jahreszeitlichen Witterungseinflüssen und teilweisen Plünderungen schutzlos ausgesetzt. Nur durch das Engagement mutiger Menschen konnte in der Nachkriegszeit der vollständige Abriss der Kirche verhindert werden, obwohl die Petrikirche für die neue Sowjetmacht ideologisch mehrfach negativ belegt war. Unter dem Arbeitstitel „Wiederaufbau als Museum für Propaganda und Stadtgeschichte” (man wollte bewusst einen Backsteinbau wieder aufbauen, für den eine inhaltliche, nicht sakrale Funktion definiert wurde) begann ein jahrzehntelanger, mühsamer, manchmal auch quälender Prozess. Der permanente Mangel an Baumaterial und Fachleuten, verbunden mit dem fortschreitenden Verlust von architekturgeschichtlichen Wissen, war ein immer wiederkehrendes Problem. Gleichzeitig führte dies in einzelnen Bereichen der Kirche zu ungewöhnlichen technischen Lösungen.
1970 wurde der neue Petrihahn auf den Turm aufgesetzt, der nun aus Stahlbeton und Stahlkonstruktionen bestand. Die weiteren Arbeiten an der Kirche zogen sich bis 1987 hin. In den folgenden Jahrzehnten erfolgte die Nutzung der Petrikirche ohne systematische Bauinstandhaltung, man lebte auf Kosten der vorhandenen Substanz. So entstanden aus kleinen Problemen weitaus größere. Eine Vielzahl der sichtbaren Probleme wie Fassadenschäden, Rissbildungen, defekte Fenster, defekte Dacheindeckung und Dachentwässerung, Feuchteschäden, Raumklimatisierung, um nur einige zu nennen, sind sicherlich dem aufmerksamen Auge nicht verborgen geblieben. Nach der sowjetischen Rekonstruktion ist die Fußbodenhöhe 15 cm niedriger als die Türschwellen der Eingangsportale. Der Aufzug in der 3. Etage des Turms ist nur über eine Treppe zu erreichen. In der Kirche gibt es eine ganze Reihe von baulichen Stolperfallen. Die Petrikirche ist derzeit auch nicht vollständig barrierefrei.
Aufgrund des jahrzehntelangen Instandhaltungs- und Sanierungsstaus ist eine umfassende Grundsanierung der Petrikirche unumgänglich. Als die Kirche nach der Verabschiedung des Petrikirchengesetzes durch das lettische Parlament Mitte 2022 an die „Stiftung St. Petrikirche Riga” (im Folgenden „Stiftung” genannt) übergeben wurde, stand zunächst die Wiederherstellung der verloren gegangenen Funktionalität und der allgemeinen Betriebssicherheit im Vordergrund. Aufgrund eklatanter Mängel stand bereits seit Jahren eine behördliche Schließung der Kirche durch die Bauaufsicht im Raum. Diese konnte von der „Stiftung” durch sofortige Reparaturen erfolgreich abgewendet werden. Inzwischen verfügt die Kirche über eine moderne Brandmeldeanlage. Die Betriebssicherheit der Elektroinstallation wurde durch den umfangreichen Austausch defekter Anlagen und Geräte gewährleistet. Eine Notstromversorgung wurde installiert. Alte Elektrogeräte wurden durch neue energiesparende Modelle ersetzt. In der Kirche wurde ein umfassendes Überwachungssystem eingerichtet. Sicherungsarbeiten an Dach und Fassade sowie Notreparaturen durch Steinrestauratoren werden laufend durchgeführt. Da bei der Übergabe der Kirche durch die städtische Kulturverwaltung (Verwalter des Kirchengebäudes bis Mitte 2022) an die „Stiftung” keine bautechnische Dokumentation übergeben wurde, wurde diese neu erstellt.
Parallel zur Sicherung und Verbesserung der heutigen Funktionalität und Nutzbarkeit begann ein intensiver Prozess der Erarbeitung und Abstimmung des denkmalpflegerischen Konzeptes mit den zuständigen Behörden. Dieses Denkmalschutzkonzept bildet nun den Rahmen für die Grundsanierung
Teil der Konzeption ist auch die Aktivierung bisher ungenutzter räumlicher Möglichkeiten des Kirchengebäudes, die für die in der Petrikirche zu erfüllenden Funktionen unabdingbar sind. Parallel dazu erfolgt eine erneute vertiefte Untersuchung des Bauzustandes, die im Sommer 2024 mit Grabungen an verschiedenen Stellen der Kirche abgeschlossen werden soll. Diese sind insbesondere im Hinblick auf die Freilegung der Unterkirche (Kellergeschoss) notwendig. Die Freilegung der Unterkirche mit dem Abbruch des bestehenden Fußbodens und der Herstellung einer neuen Geschossdecke zwischen Kirchsaal und Unterkirche stellt sicherlich eine der größten Einzelpositionen der Grundsanierung dar, die sowohl technisch als auch organisatorisch durch ihre abschnittsweise Erneuerung grundlegend in die Nutzung eingreift. Wenn es keine unvorhergesehenen Behinderungen gibt, sollte das mehrjährige Bauprojekt im Jahr 2025 beginnen. Da das lettische Parlament bereits 2022 darum gebeten hat, eine komplette Schließung der Kirche während der Grundsanierung zu vermeiden, werden die Baumaßnahmen in Abschnitten erfolgen, so dass für die großen Maßnahmen mit einer Bauzeit von ca. 4 Jahren gerechnet werden kann. Das Ergebnis wird sein, dass wir uns alle nach Abschluss der Arbeiten wieder an einer wunderschönen Petrikirche inklusive einer repräsentativen Orgel erfreuen können, einem großen Wahrzeichen Rigas, das auch für die nächsten Generationen gut gerüstet ist.
Stefan Meissner (in MBL 1-2/2024)
Comments