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Die Kunst braucht Freiheit - Internationale Kulturtage Mare Balticum 2021

Dass die Kunst sich nur in der Freiheit auch in all ihrer Vielfalt entwickeln kann, diese Erkenntnis zog sich wie ein roter Faden durch die Referate der Internationalen Kulturtage Mare Balticum in Darmstadt.

Einen eindrucksvollen Beweis in der Gegenwart bietet nach der erneuten Unabhängigkeit Estland, in dessen Hauptstadt Tallinn das mit 5000 Quadratmetern Ausstellungsfläche und einem Gesamtkomplex von 20 Hektar größte Kunstmuseum des Baltikums entstanden ist. Ein staatlicher Fonds finanziert Stipendien und Projekte, was den Künstlern auf mehrere Jahre ein festes Einkommen garantiert. Finanziert wird der Fonds aus Geldern von Tabak-, Alkohol- und Glücksspielsteuern, wie Merit Kopli von der estnischen Botschaft in Berlin erläuterte.


Trotz Pandemie verfolgte viel Publikum die Referate bei den Internationalen Kulturtagen Mare Balticum in Darmstadt. Foto Andreas Kanstein

Die Kunst im Baltikum entwickelte sich langsam und wurde nur in Teilen wahrgenommen. Im Gefolge der Kreuzritter trat im Mittelalter die Baukunst in den Vordergrund. Die Malerei etwa spielte erst im Zuge der Romantik Jahrhunderte später eine Rolle. Den Künstlern in Baltikum fehlte vielfach das Mäzenatentum, wie es in Deutschland, Italien oder den Niederlanden üblich war, so Andreas Hansen, Vorsitzender der Deutsch-Baltischen Gesellschaft. Seine Feststellung: „Es fehlte der idealistische Flug, den nur die Freiheit gibt.“

Von diesem Geist der Freiheit profitierten Esten und Letten im 19. Jahrhundert in der Zeit des nationalen Erwachens. Ein Film des Senders ARTE befasste sich mit der Sammlung aus mehreren hunderttausend Dainas, lettische Volkslieder, die Krisjanis Barons zusammengetragen hat, und mit der Bedeutung des Nationalepos Kalevipoeg für die Esten.

Als Begründer der modernen lettischen Malerei wird heute Johann Walter-Kurau gefeiert. Der Deutschbalte lernte an der Kunstakademie St. Petersburg die wichtigsten russischen und lettischen Maler seiner Zeit kennen und leitete die Künstlergruppe Rukis (Zwerg), so Jürgen Lüder-Lühr (Neustadt/Weinstraße). Walter-Kurau entwickelte eine umfangreiche Theorie, wie Farben am besten zusammenpassen. Nach der Revolution von 1905 ging er nach Deutschland, wechselte auch vom Realismus zum Impressionismus. Die Nazis bewerteten seine Bilder als entartete Kunst.

Am Beispiel des Malers Ülo Sooster beleuchtete Dr. Mari Laanemets (Tallinn) die Lage der Kunst in der Sowjetzeit. Der 1924 geborene Este Sooster studierte in Tartu Surrealismus, als er 1949 zusammen mit tausenden Esten nach Sibirien verschleppt wurde. 1956 durfte er zurückkehren. In der Erkenntnis, dass das politische System zumindest damals nicht zu ändern war, zogen sich die Künstler mehr ins Privatleben zurück. In den 70er Jahren häuften sich in der Kunst die Beispiele, durch Verfremdung, etwa bei Kunst am Bau, Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen zu äußern.

Als außergewöhnliches, fast schon skurriles Einzelschicksal, schilderte Ernst von Waldenfels die Vita des St. Petersburger Malers Nikolai Roerich. Sein Vater war Deutschbalte, die Mutter Russin. Die Familie genoss Ansehen, man hatte exzellente Verbindungen zum Zarenhof. Roerich wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als er 1913 als Ausstatter an Igor Strawinskys Ballett Le sacre du printemps mitarbeitete. Nach der Revolution verließ er Russland, war 1920 in New York. Dort fand er bis in die höchsten Regierungskreise der USA reiche Gönner, die seine Suche nach den Mahatmas, den angeblichen heimlichen Herrschern der Welt, unterstützten. Für seine Reise nach Tibet nahm er auch die Hilfe der sowjetischen Geheimpolizei in Anspruch. Nach einem Skandal musste er nach Indien fliehen, wo er 1947 starb. Als Maler ließ sich Roerich von den Anfängen der russischen Geschichte und der Landschaft des Himalayas inspirieren. Um seine Herkunft machte er ein Geheimnis, bis hin zu der Mär, Roerich leite sich von Rurik ab, dem wikingischen ersten Herrscher der slawischen Russen. Laut Waldenfels war seine Großmutter Dienstmädchen in Ostpreußen.

„Dokufiktion“ nennt die Hamburgerin Anja Putensen ihre selbstgewählten Projekte. Die Fotografin dokumentiert baltische Herrenhäuser in Estland und Lettland. Nicht als historische Dokumentation, ihre Blickwinkel werden von Geschichten und Erzählungen rund um die Gebäude bestimmt.

Eine fotografische Reise vom Kap Kolka an der Grenze zwischen Rigaer Bucht und Ostsee bis Aluksne (Marienburg) im Nordosten Lettlands bot Gerda Kohl (Neumünster). Die in Posen geborene Deutschbaltin hat die Heimat ihrer Eltern vor Jahren neu entdeckt, reist regelmäßig dorthin und unterstützt das Museum in Hasenpoth. Ihre Bilder boten eine breite Palette von Kunstwerken in der Öffentlichkeit, von der steinernen Pforte am Kap Kolka über Wandmalereien mit jüdischem Bezug an Wohnhäusern bis zu Glasmalereien in Kirchen.



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